NSB-Register online: Aufarbeitung oder Skandal?
| von Redaktion
DEN HAAG · Ein bedeutender Tag für die Aufarbeitung der niederländischen Geschichte: Seit heute ist das Namenregister des Centraal Archief Bijzondere Rechtspleging (CABR) online durchsuchbar. Es listet Verstorbene, die während des Zweiten Weltkriegs mit den Besatzern kollaboriert haben sollen. Doch Datenschutzbedenken und familiäre Belastungen werfen Schatten auf dieses historische Projekt.
Seit dem Morgen ist die Website des Projekts „Oorlog voor de Rechter“ stark frequentiert. Bereits Tausende Anfragen wurden gestellt, um Informationen über mutmaßliche Kollaborateure zu erhalten. Das Interesse ist nicht nur in den Niederlanden, sondern auch international groß. Gleichzeitig sorgt die eingeschränkte Einsicht in die zugehörigen Akten für Kontroversen.
Was ist die NSB? Die Nationaal-Socialistische Beweging (NSB) war eine niederländische nationalsozialistische Partei, die 1931 gegründet wurde. Sie unterstützte die Ideologie des Nationalsozialismus und kollaborierte während der deutschen Besatzung der Niederlande im Zweiten Weltkrieg eng mit den Besatzern. Mitglieder der NSB waren in verschiedene Verwaltungs- und Polizeistrukturen eingebunden, darunter auch in Durchgangslagern wie Westerbork. Nach der Befreiung der Niederlande 1945 wurde die NSB aufgelöst, und viele ihrer Mitglieder wurden strafrechtlich verfolgt.
Der historische Kontext
Das CABR-Archiv umfasst Dossiers von etwa 300.000 Niederländern, die während des Zweiten Weltkriegs der Zusammenarbeit mit den deutschen Besatzern verdächtigt wurden. Ursprünglich sollte das Archiv, das unter anderem von der Politieke Recherche und den Bijzondere Gerechtshoven erstellt wurde, ab 2025 vollständig öffentlich sein. Doch aufgrund von Warnungen der Datenschutzbehörden wurde die Online-Veröffentlichung der Dossiers verschoben.
Die heute veröffentlichte Namensliste betrifft nur Verstorbene, deren Tod nachgewiesen wurde. Zugang zu den Dossiers erhalten lediglich berechtigte Personen, wie Historiker oder Familienangehörige, nach Genehmigung. Kopien oder Fotografien der Dokumente sind strikt untersagt.
Datenschutz versus Transparenz
Die Datenschutzbedenken beruhen darauf, dass einige der Akten personenbezogene Daten lebender Personen enthalten könnten. Minister Eppo Bruins entschied daher, dass die Einsichtnahme nur vor Ort im Nationaal Archief in Den Haag möglich ist. Diese Entscheidung stößt auf Kritik von Historikern, die die breite Verfügbarkeit der Dokumente fordern, um die Geschichte umfassend aufzuarbeiten.
Ein weiterer Streitpunkt ist die emotionale Belastung der Nachfahren. Viele von ihnen erleben durch die Veröffentlichung eine Konfrontation mit der Vergangenheit ihrer Familien. So berichtet Rinke Smedinga, dessen Vater als NSB-Mitglied in Westerbork arbeitete, an NOS von der Schwierigkeit, die Taten seines Vaters zu verstehen und aufzuarbeiten.
Historische Aufarbeitung in der Praxis
Das Interesse an den CABR-Daten zeigt die hohe gesellschaftliche Relevanz. Familienangehörige suchen Klarheit über die Rolle ihrer Vorfahren, während Historiker die Chance sehen, neue Erkenntnisse über die Zeit der Besatzung zu gewinnen. Doch die begrenzte Zugänglichkeit des Archivs erschwert dies.
International findet das Projekt ebenfalls Beachtung. Deutsche Medien berichten über die sogenannten „Kollaborateurslisten“, und auch in Belgien und Israel gibt es ein großes Interesse an den Dossiers.
Zukunftsperspektiven
Laut Minister Bruins wird geprüft, ob die digitalisierten Dokumente in Zukunft auch in anderen Archiven zugänglich gemacht werden können. Das Projekt bleibt ein Balanceakt zwischen Transparenz, Datenschutz und der Verantwortung gegenüber den Nachfahren. „Das Archiv ist von unschätzbarem Wert für die historische Forschung und das kollektive Gedächtnis“, so Bruins.
Die Debatte um die Öffentlichkeit der CABR-Dokumente zeigt, wie herausfordernd der Umgang mit belasteter Geschichte sein kann. Während einige die Veröffentlichung als wichtige Aufarbeitung sehen, fühlen sich andere durch die Konfrontation überfordert. Die kommenden Monate werden zeigen, wie sich das Projekt weiterentwickelt und welche Lehren daraus gezogen werden.
Mehr Informationen
In eigener Sache
Bitte unterstütze uns
Unsere Aktivitäten und diese Webseite bieten wir kostenlos an. Wir tun dies gerne und freiwillig. Um unseren Service weiterhin anbieten zu können, schalten wir Werbung und nutzen Affiliate-Links. Deine Unterstützung, sei es durch Mitarbeit oder eine Spende in Höhe einer Tasse Kaffee über PayPal, ist uns sehr willkommen und hilft uns enorm.
Vielen Dank dafür!
Kommentare
Einen Kommentar schreiben