Letzter Fleck befreit: Schiermonnikoog
| von Redaktion

SCHIERMONNIKOOG · Vor genau 80 Jahren wurde der allerletzte Quadratmeter der Niederlande von der deutschen Besatzung befreit. Während im übrigen Land bereits seit dem 5. Mai 1945 gefeiert wurde, mussten die rund 700 Bewohner von Schiermonnikoog fast sechs weitere Wochen auf ihre Befreiung warten. Erst am 11. Juni 1945 verließen die letzten deutschen Wehrmachtssoldaten das Eiland. Heute erinnert ein festliches Programm mit historischen Rundgängen, Ausstellungen und einem Defilee an diesen besonderen Tag der Inselgeschichte – und an eine ungewöhnlich lange Besatzungszeit, die von Isolation, Angst, aber auch bemerkenswerter Ruhe geprägt war.
Die Befreiung Schiermonnikoogs, des nördlichsten Waddeneilands, markiert einen besonderen Schlusspunkt in der Geschichte des Zweiten Weltkriegs in den Niederlanden. Während auf dem Festland bereits der Wiederaufbau begann, standen auf Schiermonnikoog noch deutsche Soldaten Wache, und Bewohner wie der heute 88-jährige Theun Talsma lebten weiter in Ungewissheit. „Unsere Farm war das letzte Haus, das befreit wurde“, sagt er rückblickend gegenüber NOS. Die verspätete Ankunft der Alliierten hatte strategische Gründe: Der Fokus lag auf der Entwaffnung größerer Städte im Westen. Die abgeschiedenen Waddeneilande mussten warten – und taten es, teils unter dem Eindruck von SS-Truppen, die auf Schiermonnikoog Zuflucht suchten.
Die verzögerte Befreiung: Schiermonnikoog wartete sechs Wochen länger
Schiermonnikoog war das letzte befreite Gebiet der Niederlande. Der Grund für die Verzögerung war logistischer Natur: Nach der Kapitulation Deutschlands am 5. Mai 1945 waren die Alliierten zunächst mit der Entwaffnung von deutschen Soldaten in bevölkerungsreichen Gebieten wie Amsterdam, Rotterdam und Den Haag beschäftigt. Die Inseln galten als zweitrangig – so sehr, dass dort noch wochenlang bewaffnete Patrouillen unterwegs waren, während auf dem Festland schon wieder niederländische Flaggen wehten .
Rückzugsort für Kriegsverbrecher
Ein besonderer Aspekt der Geschichte Schiermonnikoogs ist die Rolle als Rückzugsort für berüchtigte SS- und SD-Mitglieder aus dem Scholtenhuis in Groningen. Diese flohen Mitte April auf die Insel, besetzten Bauernhöfe an der Kooiweg und verschanzten sich in einer Eendenkooi. Dabei handelte es sich um Männer, die nachweislich Widerstandskämpfer gefoltert und ermordet sowie Juden deportiert hatten. Die Besatzung auf der Insel blieb ruhig, doch die Anwesenheit dieser Männer führte zu Spannungen selbst innerhalb der deutschen Truppen – die Wehrmacht richtete ihre Kanonen auf die Quartiere der SS-Leute .
Widerstand mit List: Die Aktion Kloppenborg
Am 25. Mai 1945 gelang dem Widerstandskämpfer Herman Kloppenborg ein Coup: Als falscher kanadischer Major verkleidet, überzeugte er zusammen mit echten kanadischen Soldaten die SS-Truppe, sich freiwillig gefangen nehmen zu lassen. Die Männer wurden mit Booten nach Zoutkamp gebracht und später in Groningen inhaftiert – einige wurden hingerichtet .
Die endgültige Befreiung am 11. Juni
Die rund 600 Wehrmachtssoldaten verließen die Insel erst am 11. Juni 1945 – genau sechs Wochen nach dem offiziellen Kriegsende. Ihre Abreise bedeutete das endgültige Ende der Besatzung. Noch heute erinnert sich Theun Talsma an diesen Tag: Plötzlich war das Sperrgebiet aufgehoben, die Dünen und der Strand wieder zugänglich. Die Kinder konnten wieder spielen – ein Gefühl der Freiheit, das er nie vergessen hat .
Erinnerung und Feierlichkeiten im Jahr 2025
Zum 80. Jahrestag wurde ein umfangreiches Programm organisiert: Geführte Wanderungen entlang historischer Stätten, Ausstellungen im Bunkermuseum ’t Schlei und eine Gedenkveranstaltung auf dem Vredenhof, dem Friedhof für Kriegsopfer. Ein Defilee mit Schulkindern, alten Militärfahrzeugen und Dudelsackspielern erinnert an das historische Ereignis. Auch die NOS widmet dem Tag eine TV-Sondersendung, in der Zeitzeugen wie Talsma zu Wort kommen .
Ein einzigartiger Ort der Erinnerung
Schiermonnikoog hebt sich durch seine Geschichte deutlich vom Rest der Niederlande ab. Während am 5. Mai landesweit Befreiung gefeiert wird, steht die Insel erst am 11. Juni im Zeichen der Freiheit. Die Spuren der Vergangenheit sind bis heute sichtbar: In Bunkeranlagen, Erinnerungsstätten wie dem Vredenhof, und in den Geschichten, die in Dokumentationen, Podcasts und Büchern erzählt werden. Besonders eindrucksvoll ist die vom Heer en Feer produzierte Dokumentation „Oorlog op Schiermonnikoog“, die heute im Koningshuis (Nieuwestreek 1, Schiermonnikoog) gezeigt wird .
Bedeutung über die Insel hinaus
Die verspätete Befreiung Schiermonnikoogs zeigt exemplarisch, dass Kriegsenden nicht überall gleichzeitig erlebbar waren. Sie verweist auf geopolitische Prioritäten, auf logistische Herausforderungen – und auf die menschliche Dimension von Warten, Ausharren und letztlich Erleichterung. Dass dieser Tag heute feierlich begangen wird, ist auch ein Ausdruck davon, dass jede Freiheit ihren Moment verdient.
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