Koalition verteilt Milliarden neu – mit schmerzhaften Folgen
| von Redaktion

DEN HAAG · Die niederländische Regierung hat mit der Voorjaarsnota 2025 (Frühlingshaushalt-Novelle) ein umfangreiches Maßnahmenpaket zur Haushaltskorrektur und Zukunftsplanung vorgelegt. Trotz Investitionen in Sicherheit, Verteidigung und Entlastungen für Bürger und Unternehmen bleibt das Paket nicht ohne Verlierer. Besonders das Ausbleiben geplanter Steuererleichterungen, Kürzungen bei Sozialleistungen und ein verschobenes milliardenschweres Kinderbetreuungsprojekt sorgen für Unverständnis. Unter dem Druck wachsender internationaler Spannungen und zur Einhaltung der EU-Defizitgrenze wendet das Kabinett zahlreiche sogenannte Kasschuiven (Haushaltstechnische Umschichtungen) an, um neue Ausgaben gegenfinanzieren zu können – mit Folgen für Familien, Gemeinden und die Infrastruktur in Flevoland.
Die Voorjaarsnota 2025 markiert den vorläufigen Höhepunkt intensiver Haushaltsverhandlungen innerhalb der Koalition von PVV, VVD, NSC und BBB. Was in der politischen Außendarstellung zunächst wie eine wirtschaftlich durchdachte Entlastung für Haushalte und Unternehmen erscheinen mag, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als ein komplexes Konstrukt aus Umverteilung, Verschiebungen und Kürzungen. So bleibt das angekündigte Paket zwar innerhalb der EU-Defizitgrenze von drei Prozent, doch dies geschieht auf Kosten vulnerabler Gruppen, des Vertrauens in politische Verlässlichkeit und langfristiger Infrastrukturprojekte.
Das Haushaltsdefizit soll laut Planungen 2025 bei -2,6 % und 2026 genau bei -3 % liegen – die Grenze, die laut EU-Stabilitätspakt maximal erlaubt ist. Um dies zu erreichen, werden Milliarden Euro durch sogenannte Kasschuiven – buchhalterische Verschiebungen zwischen Ministerien – freigemacht. Konkret: 7,1 Milliarden Euro werden 2026 umgeschichtet, Ausgaben inflationsbedingt nicht vollständig angepasst, und ursprünglich vorgesehene Maßnahmen wie die fast kostenlose Kinderbetreuung bis 2029 verschoben. Auch die ursprünglich zugesagte Lelylijn wird finanziell zugunsten der Nedersaksenlijn geopfert, was regional für Empörung sorgt. Gleichzeitig wurden zuvor geplante Steuererleichterungen abgeschwächt: Die Reduzierung der Einkommensteuer fällt deutlich geringer aus, das heffingsvrije vermogen in Box 3 sinkt – Millionen Sparer müssen künftig auf mehr Vermögen Steuern zahlen.
Gewinner und Verlierer im Überblick
Gewinner:
Gruppe | Vorteil |
---|---|
Gemeinden | 3 Mrd. € zusätzlich, um gesetzliche Aufgaben zu erfüllen |
Haushalte mit Miete | Erhöhung des Huurtoeslag, keine Erhöhung sozialer Mieten |
Unternehmen | Keine neuen Steuerbelastungen, neue Aktienoptionen für Start-ups |
Verteidigung | +1,2 Mrd. € jährlich für Sicherheit und internationale Stabilität |
Arbeitnehmer in Start-ups | Neue Steuervergünstigung bei Mitarbeiterbeteiligungen |
Verlierer:
Gruppe | Nachteil |
---|---|
Familien mit mittlerem Einkommen | Kürzung des kindgebundenen Budgets ab 60.000 € Jahreseinkommen |
Arbeitslose | Verkürzung der WW auf 18 Monate |
Pflegebedürftige/Kranke | Kürzungen bei Medikamentenvergütung und Gesundheitsausgaben |
Eltern kleiner Kinder | Verschiebung der fast kostenlosen Kinderbetreuung auf 2029 |
Bürger mit Sparvermögen | Steuerfreibetrag in Box 3 sinkt, mehr Besteuerung auf Vermögen |
Regionen wie Flevoland, Groningen und Friesland | Wegfall zugesagter Lelylijn-Investitionen, trotz parlamentarischer Zusagen |
Neue Prioritäten: Verteidigung, Gemeinden und Energiekosten
In einer Zeit internationaler Spannungen betont das Kabinett Stabilität und Sicherheit. Dies zeigt sich nicht nur in der Fortsetzung der Ukrainehilfe, sondern besonders in der Aufstockung des Verteidigungsetats um jährlich 1,2 Mrd. Euro. Parallel wird auch der Druck auf Gemeinden gelindert: Um drohende Klagen gegen den Staat zu verhindern, erhalten Kommunen 3 Mrd. Euro zusätzlich – eine Maßnahme, die laut NOS drohende Preissteigerungen bei lokalen Abgaben wie Parkgebühren und Hundesteuern abwenden soll.
Auch Privathaushalte profitieren punktuell: Die Energiesteuer wird gesenkt, Sozialmieten bleiben bis 2026 stabil, und die Mehrwertsteuererhöhung auf Kultur, Medien und Sport wird endgültig gestrichen. Für Unternehmen, insbesondere Start-ups, stellt die neue Regelung zur Mitarbeiterbeteiligung eine spürbare Verbesserung dar. Wie das Ministerie van Economische Zaken betont, könnten niederländische Jungunternehmen so besser Talente binden – ein kritischer Punkt, da nur 19 % der Start-ups zu Scale-ups heranwachsen, unter EU-Durchschnitt.
Tiefe Einschnitte bei Kinderbetreuung und Sozialleistungen
Der größte finanzielle Brocken zur Gegenfinanzierung stammt aus dem Bereich der Kinderbetreuung: Das milliardenschwere Vorhaben der fast kostenlosen Kinderbetreuung wird abermals verschoben – nun auf 2029. Diese Maßnahme allein bringt laut De Telegraaf dem Staat über 5 Mrd. Euro Einsparungen. Gleichzeitig wird das kindgebundene Budget für mittlere und höhere Einkommen reduziert. Wer als Elternpaar mehr als 60.000 Euro jährlich verdient, erhält künftig deutlich weniger staatliche Unterstützung.
Weitere Einschnitte betreffen Sozialleistungen. Die Dauer des Arbeitslosengeldes (WW) wird von 24 auf 18 Monate verkürzt, Selbsthilfe-Medikamente wie Paracetamol werden nicht mehr erstattet, und auch die Jugendhilfe wird reformiert – mit dem Ziel, Kosten zu senken. Besonders pikant: Ministerin Agema (Gesundheit) hatte laut De Telegraaf Kürzungen in ihrem Bereich noch am Vortag dementiert, obwohl 2025 bereits 300 Mio. Euro eingespart werden sollen.
Umverteilung auf Kosten der politischen Glaubwürdigkeit?
Für große Diskussionen sorgt auch die Umschichtung von 1,9 Mrd. Euro aus dem Budget der Lelylijn – ein Infrastrukturprojekt mit breiter politischer Rückendeckung – zur Finanzierung der Nedersaksenlijn. Obwohl eine im Dezember 2024 vom Parlament einstimmig angenommene Motion eine Zweckentfremdung der Lelylijn-Mittel untersagte, wurde dieses Versprechen nun gebrochen. Kritiker wie der Kommissar des Königs in Groningen, René Paas, sprechen offen von einem „geplünderten Geldtopf“ und werfen der Regierung „bestuurlijk onbehoorlijk“ (regierungsseitige Unanständigkeit) vor. Die Provinz Flevoland zeigt sich enttäuscht: Der Ausbau des Bahnanschlusses in Nord-Flevoland, als strategisch wichtiges Entwicklungsziel eingestuft, rückt damit erneut in weite Ferne.
Keine echten Reformen, aber viele Kompromisse
Die Voorjaarsnota 2025 ist weniger eine Vision für die Zukunft als ein Balanceakt auf dem schmalen Grat zwischen Koalitionsinteressen, Haushaltsdisziplin und öffentlicher Erwartung. Zwar betont Finanzminister Heinen, dass man „keine Rechnungen in die Zukunft verschiebt“, doch die Realität zeigt: Viele Maßnahmen sind buchhalterischer Natur oder Resultat kurzfristiger politischer Deals. Familien, Regionen und Teile des Sozialsystems zahlen den Preis – und auch das Vertrauen in politische Verlässlichkeit wird mit dieser Haushaltsrunde nicht gestärkt.
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