Klimakrise und Stickstoff: Niederlande in der Zwickmühle
| von Redaktion

ROTTERDAM · Aktuelle Entwicklungen im niederländischen Umwelt- und Klimaschutz werfen neue Zweifel an der Zielerreichung bis 2030 auf. Ministerin Hermans präsentierte ein umfassendes Klimapaket, das trotz ambitionierter Maßnahmen wie Subventionen für Industrie und Förderung des E-Auto-Marktes laut Experten nicht ausreicht, um die gesetzlich geforderten Emissionsziele zu erreichen. Parallel dazu wurde ein erstes Maßnahmenpaket zur Reduktion der Stickstoffbelastung beschlossen, das insbesondere die Landwirtschaft betrifft. Beide Themen sind eng miteinander verknüpft und zeigen, wie schwierig es ist, wirtschaftliche Interessen und Umweltziele in Einklang zu bringen. Besonders heftig kritisiert wird die Rückkehr fossiler Subventionen, während Natur- und Klimaschützer weitergehende Schritte fordern.
Während Ministerin Hermans in Rotterdam das neue Klimapaket präsentierte, bleibt die grundlegende Skepsis bestehen: Laut dem Planbureau voor de Leefomgeving (PBL) liegt die Chance, das gesetzlich festgelegte Klimaziel – eine Reduktion der CO₂-Emissionen um 55 Prozent im Vergleich zu 1990 – bis 2030 zu erreichen, weiterhin bei lediglich fünf Prozent. Zwar sollen durch die neuen Maßnahmen etwa 10 Megatonnen CO₂ eingespart werden, doch reicht dies nach Ansicht von Fachleuten bei weitem nicht aus. Um eine realistische Chance von 50 Prozent zu erreichen, wären mindestens 16 Megatonnen Einsparung notwendig. Die Reaktionen auf Hermans' Paket sind gespalten: Während die Industrie, insbesondere der Hafen von Rotterdam, die Entlastungen und Erleichterungen im Genehmigungsverfahren lobt, reagieren Umweltorganisationen wie Fossielvrij und Wise mit Entsetzen auf die geplante Indirekte Kostenkompensation (IKC), die sie als Rückschritt in der Klimapolitik bezeichnen.
Klimapaket: Kleine Fortschritte, große Zweifel
Das Klimapaket der Regierung setzt gezielt auf den Ausbau der Elektromobilität, die Entlastung großer Energieverbraucher und die Beschleunigung des Stromnetzausbaus. Maßnahmen wie Steuervergünstigungen für elektrische Dienstwagen und die geplante Umstellung der Kfz-Steuer auf Basis der Fahrzeugfläche ab 2027 sollen Verbraucher zum Umstieg auf E-Mobilität bewegen. Gleichzeitig wird der Ausbau von Ladeinfrastruktur forciert. Für Großverbraucher sieht das Paket milliardenschwere Subventionen vor, um sie bei den Energiekosten zu entlasten, wie NOS berichtet. Dennoch bleibt laut Experten die Gesamteffizienz des Pakets fraglich: Ohne zusätzliche CO₂-Reduktion ist das gesetzte Klimaziel kaum zu erreichen.
Industrie wird geschont, Klimaziele leiden
Besonders auffällig ist die Schonung der Industrie im neuen Paket. Die geplante Erhöhung der CO₂-Steuer wird verschoben, die geplante Plastiksteuer entfällt. Unternehmen erhalten damit weiterhin einen Standortvorteil, um Abwanderung zu verhindern. Kritiker wie Milieudefensie weisen darauf hin, dass auf diese Weise vor allem Konzerne profitieren, während Bürger und kleine Unternehmen die Kosten der Energiewende tragen. Die Entscheidung, fossile Subventionen in Form der IKC wiedereinzuführen, verstärkt den Eindruck einer Klimapolitik zugunsten wirtschaftlicher Interessen.
Stickstoffkrise: Start eines langen Prozesses
Parallel zum Klimapaket präsentierte Landwirtschaftsministerin Wiersma ein erstes Maßnahmenpaket zur Stickstoffreduktion. Im Fokus stehen die besonders belasteten Naturgebiete De Peel und De Veluwe, wo durch die freiwillige Reduktion der Viehhaltung und das Schaffen von Pufferzonen erste Erfolge erzielt werden sollen. Dafür stehen 2,2 Milliarden Euro bereit – Mittel, die bereits zuvor für die Landwirtschaft vorgesehen waren. Die geplante Reduktion der Stickstoffemissionen um 42 bis 46 Prozent in der Landwirtschaft bis 2035 ist ambitioniert, doch fehlen bislang konkrete Finanzierungszusagen für die notwendige Entschädigung der betroffenen Landwirte, wie AD hervorhebt.
Die Klimamaßnahmen im Überblick
Förderung der Elektromobilität:
-
Mehr Kfz-Steuerermäßigung für Elektro- und Hybridautos:
Ab 2026 steigt die Steuerermäßigung von 25 Prozent auf 30 Prozent (bis einschließlich 2028). -
Steuerliche Vorteile für elektrische Leasingflotten:
Unternehmen, die auf eine vollständig elektrische Leasingflotte setzen, erhalten steuerliche Vergünstigungen. -
Strafabgabe für fossile Leasingfahrzeuge:
Ab 2027 wird eine höhere Abschlussabgabe (Strafsteuer) für Unternehmen fällig, die weiterhin Diesel- oder Benzinautos als Dienstwagen leasen. -
Langfristige Umstellung der Kfz-Steuer:
Perspektivisch soll die Kfz-Steuer auf Basis der Fahrzeugfläche statt des Gewichts berechnet werden. -
Stärkung des Gebrauchtwagenmarkts für Elektroautos:
Mehr E-Autos aus Leasingverträgen sollen später günstiger als Gebrauchtwagen verfügbar sein.
Unterstützung für Industrie und Unternehmen:
-
Subventionen für große Stromverbraucher:
Industrieunternehmen erhalten jährlich 180 Millionen Euro (IKC) als Ausgleich für hohe Energiekosten. -
8 Milliarden Euro für nachhaltige Unternehmensprojekte:
Über die sogenannten SDE-Programme wird die Umstellung auf erneuerbare Energiequellen gefördert. -
Keine Plastiktaxe:
Die ursprünglich geplante Steuer auf Kunststoffverpackungen ab 2028 wird nicht eingeführt, um die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen zu erhalten.
Investitionen in Infrastruktur und Klimaschutz:
-
Beschleunigter Ausbau des Stromnetzes:
Der Bau von rund 50.000 neuen Transformatorstationen soll schnell und mit vereinfachten Genehmigungsverfahren erfolgen. -
Förderung der CO₂-Speicherung:
Für das Projekt „Aramis“ zur unterirdischen Speicherung von CO₂ werden über 600 Millionen Euro zusätzlich bereitgestellt. -
Höhere CO₂-Abgaben für Müllverbrennungsanlagen:
Falls die Branche kein alternatives Konzept vorlegt, wird die CO₂-Heizkostenbelastung für Müllverbrennung steigen. -
Förderung von grünem Wasserstoff:
Investitionen in die Herstellung von klimafreundlichem Wasserstoff werden ausgeweitet.
Förderung nachhaltigen Wohnens:
-
Zinsvorteile für nachhaltige Immobilienkäufer:
Käufer, die ihre durch Nationale Hypothekengarantie (NHG) gesicherte Immobilie nachhaltig sanieren, sollen einen vergünstigten Hypothekenzins erhalten.
Politische Balanceakte und juristische Unsicherheiten
Die politischen Kompromisse, die insbesondere auf Druck von PVV, BBB und VVD zustande kamen, verhindern eine konsequentere Ausrichtung der Maßnahmen. Das zeigt sich nicht nur bei der Klimapolitik, sondern auch bei der Stickstofffrage. So wird die bisher gesetzlich verankerte kritische Deposition (KDW) als Maßstab für die Stickstoffbelastung abgeschafft – eine Maßnahme, die von Juristen als juristisch fragwürdig bewertet wird. Eine kritische Analyse des Landsadvocaat legt nahe, dass die neuen Regelungen möglicherweise nicht ausreichen werden, um gerichtlichen Überprüfungen standzuhalten.
Perspektiven und Ausblick
Ministerpräsident Dick Schoof betonte in seiner Pressekonferenz, dass die Niederlande trotz der neuen Maßnahmen noch längst nicht „vom Slot“ seien. Weitere Schritte seien dringend nötig, sowohl im Bereich des Klimaschutzes als auch bei der Stickstoffreduktion. Besonders die Modernisierung des Stromnetzes, für die eine Investitionssumme von 200 Milliarden Euro veranschlagt wird, bleibt eine zentrale Herausforderung. Ebenso stehen zusätzliche Maßnahmen zur Unterstützung nachhaltiger Landwirtschaft und Mobilität aus.
Ob die Niederlande letztlich ihre selbst gesetzten Klimaziele erreichen können, bleibt offen. Fest steht: Ohne zusätzliche, deutlich ambitioniertere Maßnahmen droht sowohl beim Klimaschutz als auch bei der Stickstoffproblematik ein Scheitern auf ganzer Linie.
In eigener Sache

Bitte unterstütze uns
Unsere Aktivitäten und diese Webseite bieten wir kostenlos an. Wir tun dies gerne und freiwillig. Um unseren Service weiterhin anbieten zu können, schalten wir Werbung und nutzen Affiliate-Links. Deine Unterstützung, sei es durch Mitarbeit oder eine Spende in Höhe einer Tasse Kaffee über PayPal, ist uns sehr willkommen und hilft uns enorm.
Vielen Dank dafür!
Kommentare
Einen Kommentar schreiben