Helmpflicht auf dem Rad: Widerstand zwecklos
| von Redaktion

UTRECHT · Nationale Kampagne zur Fahrradhelmnutzung gestartet: Die Niederlande ringen mit sich selbst: Trotz traditioneller Ablehnung soll sich das Bild des Radfahrens grundlegend ändern. Heute beginnt landesweit die vom Ministerium für Infrastruktur und Wasserstaat initiierte Kampagne „Zet 'm op!“, die das freiwillige Tragen von Fahrradhelmen etablieren soll. Angesichts jährlich zehntausender schwerer Verletzungen auf zwei Rädern sieht die Regierung dringenden Handlungsbedarf – und setzt neben Aufklärung auch auf gezielte Anreize wie Rabatte. Expertinnen und Experten sehen darin einen ersten Schritt auf einem langen Weg.
Trotz jahrzehntelanger Fahrradkultur und einer nahezu flächendeckenden Nutzung des Drahtesels bleibt der Helm in den Niederlanden ein Fremdkörper. Gerade einmal 4 Prozent aller Radfahrenden tragen derzeit einen Schutzhelm – ein Anteil, den Infrastrukturminister Madlener innerhalb der nächsten zehn Jahre auf 25 Prozent steigern möchte. Die Zahlen liefern ihm dafür reichlich Argumente: Laut VeiligheidNL mussten im letzten Jahr 74.300 verunglückte Radfahrende in der Notaufnahme behandelt werden, fast 49.000 davon mit schweren Verletzungen. Besonders häufig betroffen sind ältere Menschen auf E-Bikes sowie Kinder unter elf Jahren – zwei Gruppen, die nun verstärkt im Fokus der heute gestarteten Kampagne „Zet 'm op!“ stehen.
Diese nationale Initiative zielt auf ein Umdenken in der Gesellschaft und setzt auf sanften Druck. „Selbstüberzeugung“ ist dabei das Schlüsselwort, wie es im Konzept des Ministeriums heißt. Flankiert wird die Kampagne von regionalen Maßnahmen: So bieten etwa Provinzen wie Gelderland, Brabant, Utrecht oder Limburg Rabatte von 20 bis 25 Euro beim Kauf eines geprüften Helms an – eine direkte Reaktion auf die zunehmenden Unfallzahlen. Auch Partner wie die ANWB, BOVAG oder RAI Vereniging unterstützen die Aktionen. Promomaterialien sind über die Website zetjefietshelmop.nl kostenlos abrufbar. In Städten wie Utrecht, wo Helmlosigkeit trotz Unfallgefahren die Norm bleibt, sollen sichtbare Vorbilder und Werbematerialien die Trendwende einleiten.
Schutz mit Widerstand: Die Helmdebatte in den Niederlanden
Der Widerstand gegen Fahrradhelme in den Niederlanden ist tief verwurzelt – gesellschaftlich wie kulturell. Komfort, Ästhetik und Gruppendruck spielen eine zentrale Rolle: Ein Helm ruiniert die Frisur, ist unbequem und signalisiert – so das verbreitete Gefühl – Außenseitertum. Das bestätigt auch Verhaltensforscherin Inge Merkelbach von der Erasmus Universität gegenüber NOS: Eine solche Änderung gegen soziale Normen sei besonders schwer durchzusetzen. Deshalb setzt die Kampagne nicht auf Zwang, sondern auf „Einführung neuer Gewohnheiten“, vor allem bei Menschen, die gerade erst Radfahren lernen – also Kinder – und bei älteren Menschen mit erhöhter Verletzungsgefahr.
Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Rund 41 Prozent aller Schwerverletzten auf Rädern sind über 55 Jahre alt – oft unterwegs mit E-Bikes, die höhere Geschwindigkeiten mit verminderter Muskelkraft und Reaktionsfähigkeit kombinieren. Kinder unter elf Jahren wiederum sind aufgrund mangelnder Erfahrung und Risikoeinschätzung besonders gefährdet. NOS schreibt, dass der Notfallmediziner David Baden vom Diakonessenhuis Utrecht täglich die Folgen sieht - von Knochenbrüchen über leichtes bis hin zu schwerem Schädel-Hirn-Trauma. Laut Angaben der Provinz Gelderland senkt ein Helm das Risiko schwerer Kopfverletzungen um bis zu 60 Prozent, das Risiko tödlicher Verletzungen sogar um 70 Prozent.
In dieser Gemengelage setzen die Initiatoren der Kampagne auf gezielte Impulse: kostenlose Poster, Social Media-Werbung, Events und gezielte Rabattaktionen in teilnehmenden Provinzen. Unterstützt wird das Ganze von der ANWB, VVN, BOVAG und weiteren Partnern. Ziel ist es, nicht nur Schutz zu erhöhen, sondern auch ein gesellschaftliches Umdenken zu initiieren – besonders bei Eltern, die Vorbild für ihre Kinder sein sollen.
Dass dieses Umdenken Zeit braucht, zeigt der Blick auf die Straßen von Utrecht: Dort fahren Eltern weiterhin ohne Helm, während ihre Kinder teilweise bereits geschützt unterwegs sind. Eine Umkehrung der Vorbildfunktion, die laut Beobachtungen auch bei der jungen Generation Spuren hinterlassen könnte. „Wenn Kinder sehen, dass Erwachsene keine Helme tragen, entsteht schnell der Eindruck: Wenn ich groß bin, brauche ich das auch nicht“, so eine junge Helmträgerin mit schottischen Wurzeln, die als eine der wenigen im Stadtzentrum geschützt unterwegs ist.
Die Kampagne „Zet 'm op!“ ist langfristig angelegt und will insbesondere über den emotionalen Hebel wirken: Wer sich und andere schützt, übernimmt Verantwortung – ein Gedanke, der bei künftigen Diskussionen über eine mögliche Helmpflicht an Gewicht gewinnen dürfte. Denn auch wenn derzeit noch alles auf Freiwilligkeit setzt: Der politische und gesellschaftliche Druck steigt, nicht zuletzt aufgrund der stetig steigenden Unfallzahlen. Eine gesetzliche Helmpflicht für bestimmte Alters- oder Risikogruppen scheint auf lange Sicht nicht ausgeschlossen. Die heute gestartete Kampagne könnte der erste Schritt in diese Richtung sein.
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