Eternit vor Gericht: Vorwurf Totschlag
| von Redaktion

GOOR · Ein bislang einmaliger Justizfall in den Niederlanden: Die Staatsanwaltschaft hat Anklage wegen Totschlags gegen den Baustoffhersteller Eternit erhoben. Das Unternehmen mit Sitz in Goor, das jahrzehntelang asbesthaltige Materialien produzierte, soll für den Tod von ehemaligen Beschäftigten und Anwohnern verantwortlich sein. Mehr als fünf Jahre ermittelten Polizei und Justiz gegen die Firma, die mutmaßlich trotz früher Kenntnis der Gefahren weder Schutzmaßnahmen ergriff noch auf die Risiken hinwies. Die Anklage hat weitreichende Bedeutung, auch für ähnliche Verfahren gegen andere Industrieunternehmen.
Die niederländische Justiz wirft dem in Goor ansässigen Baustoffunternehmen Eternit vor, über Jahrzehnte hinweg Mitarbeiter und Anwohner dem hochgefährlichen Stoff Asbest ausgesetzt und dadurch den Tod mehrerer Personen billigend in Kauf genommen zu haben. Konkret geht es laut De Telegraaf und Trouw um mindestens zwei ehemalige Beschäftigte und die Partnerin eines der Opfer. Die Staatsanwaltschaft klagt Eternit nun wegen Totschlags und fahrlässiger Tötung an – ein außergewöhnlicher Schritt in der niederländischen Rechtsprechung. Hintergrund sind unter anderem Aussagen von Betroffenen, jahrzehntelanges Schweigen über Gesundheitsgefahren sowie dokumentierte Versuche, ein Asbestverbot politisch zu verzögern.
Ein Strafverfahren mit Signalwirkung
Erstmals in der niederländischen Rechtsgeschichte wird ein multinationales Unternehmen wegen eines Delikts wie Totschlag strafrechtlich belangt, wie „Trouw“ berichtet. Das Ermittlungsverfahren wurde 2019 nach Anzeigen von Asbestopfern und Angehörigen eingeleitet. Sie machen Eternit für zahlreiche Todesfälle durch Mesotheliom – einer aggressiven Form von Krebs – verantwortlich. Die Krankheit tritt oft Jahrzehnte nach Asbestkontakt auf. Laut dem spezialisierten Anwalt Bob Ruers sind allein in Goor und Umgebung seit den 1970er-Jahren mindestens 150 Menschen an den Folgen der Eternit-Produktion gestorben.
Jahrzehnte der Verantwortungslosigkeit
Von 1937 bis zum Verbot 1993 stellte Eternit in Goor Asbestzementprodukte her. Dabei wurden Mitarbeiter laut Justiz nicht ausreichend über die Gefahren aufgeklärt oder mit Schutzkleidung ausgestattet. Zahlreiche ehemalige Arbeiter berichten von permanentem Asbeststaub in der Fabrik. Zudem stellte Eternit jahrelang asbesthaltige Abfälle kostenlos für Wege und Höfe in der Umgebung zur Verfügung. Auch dadurch erkrankten Menschen, die nie im Betrieb tätig waren.
Frühe Kenntnisse – doch keine Reaktion
Bereits in den 1930er-Jahren warnte eine britische Studie vor der krebserregenden Wirkung von Asbest. Intern war Eternit dies bekannt, wie eine Firmenmitteilung an ein europäisches Asbestkartell aus dem Jahr 1989 belegt. Trotzdem wurde die Produktion unvermindert fortgesetzt. Aussagen ehemaliger Mitarbeiter, Gewerkschaftsdokumente sowie interne Protokolle zeigen: Auch bei Eternit selbst wurde das Gesundheitsrisiko bagatellisiert oder sogar geleugnet.
Gezielte Lobby gegen Verbote
Wie Trouw weiter berichtet, versuchte Eternit aktiv, ein Verbot von Asbestprodukten in den Niederlanden zu verhindern. Durch die Beteiligung an öffentlichen Diskussionen über die Risiken wurde bewusst eine politische Entscheidung hinausgezögert. Firmenvertreter sprachen in Interviews sogar von einer „Hetze gegen Asbest“.
Zentrale Rolle der Etex Group
Eternit gehört heute zur belgischen Etex Group, die weltweit in 45 Ländern aktiv ist und zuletzt 166 Millionen Euro Gewinn erwirtschaftete. Eigentümer ist die vermögende Unternehmerfamilie Emsens. Der Konzern verweigert laut Medienangaben jegliche Stellungnahme zur Vergangenheit des niederländischen Tochterunternehmens und verweist auf das laufende Verfahren. Eternit selbst behauptet, stets gesetzeskonform gehandelt zu haben.
Internationale Vorläufer und Signalwirkung
In Italien wurden frühere Eternit-Manager bereits 2005 und 2009 wegen ähnlicher Vorwürfe verurteilt – teils zu langen Haftstrafen. Auch in den Niederlanden könnte der Ausgang des Verfahrens gegen Eternit richtungsweisend für weitere Fälle werden. Bereits laufen Ermittlungen gegen Chemours in Dordrecht sowie gegen Tata Steel in IJmuiden, wie die niederländische Presse berichtet.
Sicht der Opfer und Angehörigen
Für viele Betroffene ist die Anklage ein Durchbruch. Der Tod ist für viele Familien mit großem Leid verbunden – oft sind ganze Generationen betroffen. Ein Beispiel ist die Familie Van Gemmert: Drei Mitglieder starben an Mesotheliom, obwohl nur einer direkt bei Eternit tätig war. Für die Klägerseite ist weniger die zu erwartende Strafe entscheidend als die Anerkennung des Unrechts und die gesellschaftliche Signalwirkung.
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