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Bröckelnde Brücken: Risiko im Fundament

| von Redaktion

Brücken | Foto: HOLLAND.guide

ROTTERDAM · Sicherheitslage verschärft sich: Infolge des Einsturzes der Carolabrug im deutschen Dresden hat Rijkswaterstaat die Sicherheitslage von Brücken in den Niederlanden neu bewertet. Dabei wurden dreizehn Brücken und Viadukte identifiziert, die zwischen 1957 und 1969 mit einem korrosionsanfälligen Stahl gebaut wurden. Die Ursache: sogenannte Wasserstoffversprödung, die mikroskopisch kleine Risse verursachen kann – mit potenziell schwerwiegenden Folgen für die Tragfähigkeit. Obwohl laut TNO, TU Delft und TU Eindhoven aktuell kein akutes Sicherheitsrisiko besteht, hat das Infrastrukturministerium angekündigt, alle betroffenen Bauwerke vorsorglich zu ersetzen. Die Kosten und der Zeitrahmen bleiben zunächst offen.

Die Erkenntnisse führen zu einem spürbaren Ruck durch die niederländische Infrastrukturpolitik. Denn viele dieser Brücken stammen aus einer Zeit, in der Verkehrsbelastung und Materialwahl ganz anderen Anforderungen unterlagen als heute. Besonders betroffen sind Strecken mit hohem Verkehrsaufkommen wie die A27, A16 und A67. Zu den priorisierten Objekten gehören unter anderem die Viadukte bei Gorinchem, Breda, Arnhem und Rotterdam – kritische Knotenpunkte im niederländischen Straßennetz. Es handelt sich um Brücken, bei denen Stahl mit hohem Wasserstoffanteil in das Betonfundament eingearbeitet wurde. Dieser kann über Jahrzehnte hinweg zu sogenannten Haarrissen führen, die die strukturelle Integrität gefährden.

Während Rijkswaterstaat versichert, dass derzeit keine Maßnahmen wie Verkehrsrestriktionen notwendig seien, bleibt eine Restunsicherheit. Schließlich war es genau dieser Materialfehler, der in Dresden zum Einsturz der Carolabrug führte – laut Untersuchungen durch deutsche Behörden und bestätigt durch die niederländische Second Opinion. Der Unterschied: In den Niederlanden wurde der Stahl anders verarbeitet. Dennoch bleibt eine aktive Überwachung Pflicht. Dazu gehören halbjährliche Inspektionen und, falls notwendig, strukturelle Verstärkungen.

Ursachenforschung: Was ist Wasserstoffversprödung?

Der Begriff klingt technisch – doch die Folgen sind konkret. Wasserstoffversprödung beschreibt ein Phänomen, bei dem in bestimmten Stahlsorten durch chemische Prozesse mikroskopisch kleine Risse entstehen. Dieser Effekt tritt häufig bei vorgespanntem Stahl auf, der in den 1950er und 60er Jahren als Verstärkung in Betonbrücken verbaut wurde. In Kombination mit Feuchtigkeit und Zeit kann dies zu einer schleichenden Korrosion im Innern führen. Dabei wird das Material spröde, verliert seine Elastizität und kann im schlimmsten Fall ohne Vorwarnung brechen.

Wie Rijkswaterstaat mitteilt, wurden bislang 13 Brücken und Viadukte im eigenen Bestand identifiziert, bei denen diese Art von Stahl verwendet wurde. Dazu zählen:

  • J.F.-Kennedyweg – Über die A16 bei Rotterdam
  • Steenenhoek Ost – A27 bei Gorinchem
  • Steenenhoek West – A27 bei Gorinchem
  • Cadettencamp Ost – A27 bei Breda
  • Cadettencamp West – A27 bei Breda
  • Spoorviadukt Nord – A67 bei Geldrop
  • Spoorviadukt Süd – A67 bei Geldrop
  • Oosterhoutse Brücke Nord – A27 bei Oosterhout
  • Oosterhoutse Brücke Süd – A27 bei Oosterhout
  • Rozendaals Viadukt Ost – A12 bei Arnhem
  • Rozendaals Viadukt West – A12 bei Arnhem
  • Algerabrug – Brücke über den Hollandsche IJssel (SVK)
  • Kleinpolderplein – A20 Richtung A13 bei Rotterdam

Obwohl bei keiner dieser Brücken aktuell ein Einsturzrisiko bestehe, sei das Problem strukturell. Das heißt: Langfristig muss ersetzt werden. Die Brücken seien zwar noch funktionsfähig, befinden sich jedoch am Ende ihrer technischen Lebensdauer.

Strategiewechsel im Infrastrukturbereich

Das niederländische Verkehrsministerium reagiert mit einem groß angelegten Austauschprogramm. Die betroffenen Bauwerke sollen laut Minister Madlener innerhalb von fünf Jahren ersetzt werden – eine Frist, die von der TNO allerdings als nicht ausreichend begründet kritisiert wird. Zudem bleibt unklar, wann genau mit dem Austausch begonnen wird. Die Finanzierung und logistische Planung sind derzeit Teil der umfassenden „Vernieuwingsopgave“ – einem Erneuerungsprogramm, das sich über Jahre erstrecken wird und hunderte Brücken umfasst.

Im Fokus stehen dabei nicht nur die 13 Objekte im Besitz von Rijkswaterstaat, sondern auch vier weitere Viadukte, die unter kommunaler Verantwortung (z. B. Rotterdam und Overijssel) stehen. Auch diese wurden mit dem kritischen Vorspannstahl errichtet und müssen nun gesondert bewertet werden. Die Zusammenarbeit zwischen den Behörden auf lokaler und nationaler Ebene sei laut NOS essenziell, um Kosten, Ausfälle und Risiken zu minimieren.

Parallel dazu hält Rijkswaterstaat engen Kontakt mit den deutschen Behörden, um Erkenntnisse aus der Katastrophe von Dresden zu nutzen. Dort wird derzeit ein ganzer Brückentyp mit rund 700 Verdachtsfällen neu bewertet. Das könnte auch Einfluss auf die niederländischen Bewertungsmaßstäbe haben.

Ein Brückenland im Umbruch

Mit rund 1.149 Brücken im Landesbestand und weiteren mehreren tausend Brücken in kommunaler Verwaltung zählt die Niederlande zu den brückenreichsten Ländern Europas. Die meisten dieser Bauwerke wurden in den Jahren 1950 bis 1975 gebaut – einer Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs, aber auch technologischer Grenzen. Damals war der Schwerverkehr überschaubar, Fahrzeuge leichter, und viele Materialien wurden ohne Langzeiterfahrung eingesetzt.

Heute sind die Anforderungen andere: mehr Verkehr, schwerere LKWs, höhere Belastungen. Was früher jahrzehntelang hielt, stößt heute schneller an seine Grenzen. Wie Rijkswaterstaat betont, werden deshalb laufend Inspektionen und Wartungen durchgeführt, um die Sicherheit zu gewährleisten. Mithilfe moderner Methoden wie Laserscanning, Schadensanalyse und Stahltypprüfung können Risiken frühzeitig erkannt werden.

Doch trotz dieser Maßnahmen gilt: Auch Brücken altern – und einige müssen in den Ruhestand. Genau das ist die zentrale Herausforderung der kommenden Jahre: Ein geordneter Rückzug alter Bauwerke bei gleichzeitigem Erhalt des Verkehrsflusses.

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