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Kolumne: Zwei Wochen Spaß

| letzte Änderung 10. Juli 2021 13:03 | Horst Kowalski

Zwei Wochen: Janssen, dansen und... Corona.

Uns wurde ein toller Sommer versprochen. Alles sollte gut werden. Aber der tolle Sommer scheint vorbei zu sein, bevor er überhaupt begonnen hat. Kaum drei Wochen, nachdem das niederländische Kabinett das Ende des Lockdowns gefeiert hat, werden die Zügel wieder angezogen.

Es waren fantastische zwei Wochen. Was eine kurze Zeit lang wie die alte Normalität aussah: volle Terrassen, Tanzen bis spät in die Nacht, kein Abstand halten, kein Mundschutz im öffentlichen Raum. Zwei Wochen zu einem hohen Preis.

Der scheidende Premierminister Mark Rutte ist nicht der Meinung, dass das niederländische Kabinett vor drei Wochen zu voreilig war. Er sagt, es sei "logisch" gewesen, den Lockdown lieber früher als später abzuschaffen. Er sagte: "Wenn man sich die rückläufigen Infektionszahlen zu dieser Zeit ansieht, war das ein logischer Schritt." Aber es gibt jetzt "weitere Informationen". Er meint die Delta-Variante.

Die Mutation des Coronavirus schreitet schnell voran. Letzte Woche gab es 500 Neuinfektionen pro Tag, gestern waren es bereits 7000 und heute sind es 10300. Es sind vor allem junge Menschen, die sich beim Ausgehen anstecken. Es geht so schnell, dass Rutte sagt, die Modelle könnten nicht mithalten. Daher tritt die Regierung wieder auf die Bremse.

Die Jugend ist nicht schuld

Den Jugendlichen kann man anlasten, nicht immer Verantwortung genommen zu haben, indem sie leicht und locker sich selbst Zugangstests ausstellten. Aber die Regierung kann genauso gut für die Tatsache verantwortlich gemacht werden, dass diese Zugangskontrollen nicht wasserdicht sind. Das komplette System "testen voor toegang" hatte von Beginn an Probleme. Angefangen mit einer inoffiziellen Ausschreibung und Klagen hatte das erste echte Testwochenende technische Schwierigkeiten. Es wurde von einem Hack gesprochen. Der Hack war aber eher die Unfähigkeit der niederländischen Behörden, um die System sicher und stabil zu bauen. Auch war das System, inklusive der Teststraßen, dem großen Ansturm nicht gewachsen.

Die Niederlande sind einfach zu schnell gewesen. Wo Deutschland auf die Notbremse trat, beschleunigten die Niederlande sogar die Lockerungen. In der Tweede Kamer wird seit anderthalb Jahren darauf hingewiesen, dass die Regierung sich die Situation in Deutschland und anderen Ländern ansehen sollte. In England ging man ebenfalls einen Schritt zurück und wartete, bis die zweite Runde der Impfungen abgeschlossen war, bevor die Regeln gelockert wurden. Insbesondere England, wo die Delta Variante seit Wochen ihr Unwesen treibt, scheint weit weg zu sein.

Die lockere Art und Weise, in der die Regierung kommuniziert hat, dass in diesem Sommer alles möglich ist, hilft auch nicht. De Jonge wie 'Tanzen mit Janssen' wird die jungen Leute sicher nicht auf den Gedanken bringen, dass sie sich in Acht nehmen müssen. Jugendliche mit einer Impfparty zu locken, verharmloste den Ernst der Lage und sorgte nicht für weniger Infektionen.

Zugangsbeweise

Personen, die vollständig gegen das Corona-Virus geimpft wurden, müssen ab Samstag zwei Wochen warten, bevor sie in der CoronaCheck-App einen QR-Code auf Basis ihrer Impfung erstellen können. Ein solches "grünes Häkchen" ermöglicht z. B. den Zugang zu Gastronomiebetrieben und Veranstaltungen, bei denen ein Abstand von 1,5 Metern nicht eingehalten werden muss. Bisher durften alle sofort nach der zweiten Impfung - oder nach einer Impfung mit dem Janssen-Impfstoff - in den Club oder die Disco gehen.

Der Gesundheitsrat der Niederlande sieht zwei Wochen als Frist für einen ausreichenden Schutz an. Ähnlich wird damit auch in anderen Ländern umgegangen. Wieso in den letzten drei Wochen direkt nach der "vollständigen Impfung" gefeiert werden konnte, ist kaum zu begreifen. Impfen und eine Stunde später in die Disco: so konnte das Coronavirus mal richtig die Sau rauslassen.

Ratschläge OMT

Das Outbreak Management Team (OMT) ist ein niederländisches Beratungsgremium, das den Minister für Gesundheit, Wohlfahrt und Sport und den Ministeriellen Ausschuss für Krisenmanagement bei der Bekämpfung einer Epidemie berät. Die Beratung beschränkt sich auf den medizinischen Aspekt der Epidemie, was auch aus der Zusammensetzung des Teams hervorgeht. Die die bisherigen 119 Ratschläge des OMT zur Coronasituation waren manchmal umstritten. Insbesondere das Red Team C19 NL, eine alternative Gruppierung von Wissenschaftlern und Fachkräften, hatte oft Verbesserungs- und Änderungsvorschläge.

Auffallend ist, dass das niederländische Kabinett das OMT zwar um Rat fragt, sich aber nur in groben Zügen daran hält. So hat das OMT dem Kabinett geraten, die Regeln noch vor dem Wochenende in Kraft zu setzen. Die Regierung hat diesen Rat nicht befolgt, weshalb die Diskotheken gestern Abend noch geöffnet waren. Laut OMT ist der starke Anstieg der Infektionszahlen zum Teil auf Partys in Diskotheken und Nachtclubs zurückzuführen.

Das OMT plädierte auch für kürzere Öffnungszeiten für die Gastronomie als die Regierung beschlossen hatte. Nach Ansicht der Experten hätte das Kabinett Öffnungszeiten von 6 bis 22 Uhr in Betracht ziehen sollen. Das scheidende Kabinett beschloss, die Gastronomie bis 00.00 Uhr geöffnet zu lassen.

Impfungen

Die niederländischen Behörden nennen immer den Wettlauf zwischen der Delta-Variante und den Impfungen. Der Wettlauf ist wie beim Hasen und Igel, wobei der Igel das Coronavirus ist. Wer die Situation in anderen Ländern verfolgt, hat schon vor Wochen gesehen, dass die Delta-Variante schnell ist. Das Kabinett baut aber weiterhin auf das gute Impftempo. So wurde gestern wiederum gesagt, dass die Niederlande im weltweiten Vergleich weit vorne stehen. Wir hörten auch, dass Vergleiche mit anderen Ländern kaum noch zu machen sind, weil die Niederlande nicht mehr auf die Daten anderer Länder zugreifen könnte. Diverse hochrangige Wissenschaftler warnen allerdings seit einer geraumen Zeit vor diesem Zweckoptimismus. Zuletzt hat der Arzt-Mikrobiologe Bert Mulder vom Nijmegener Canisius-Wilhelmina-Krankenhaus in einem ausführlichen Interview im De Stentor dazu seine Meinung gesagt und die wesentlichen Punkte nochmal hervorgehoben.

De Jonge geht aktuell von 3 Millionen Erwachsenen aus, die noch durch das Coronavirus in Schwierigkeiten kommen können. Menschen mit einer schlechten Abwehr, Impfweigerer, aber auch Personen, bei denen der Impfstoff nicht gut funktioniert. Zwar werden die Impfzahlen so hochgepriesen, die Impfrate ist aber aktuell viel zu niedrig.

Datenmodelle

Laut dem scheidende Premierminister Mark Rutte und dem scheidende Gesundheitsminister Hugo de Jonge waren die Lockerungen vor zwei Wochen nicht zu schnell. Dass die damalige Lockerung zu einer höheren Zahl von Infektionen führen würde, sei "kalkuliert" gewesen, sagte der scheidende Gesundheitsminister De Jonge gestern währende der Pressekonferenz. Aber so hoch und so schnell? Die RIVM-Modelle hatten das nicht berechnet. Es wurden hier wohl maßgeblich Durchschnittswerte verwendet. Dass die junge Bevölkerung massenhaft ausgehen wollte, wurde in beim RIVM im dörflichen Bilthoven nicht berücksichtigt. Die Exzesse in den niederländischen Parks und der fragende Druck der Jugendlichen während der Wochen zuvor wurden anscheinend nicht gesehen.

Undeutlichkeit

Egal ob es um die Maskenpflicht, Quarantäne oder Einreiseregelungen ging, das niederländische Kabinett hat die Bürger eher verunsichert. Die Maskenpflicht war in vielen Ländern bereits eingeführt, da wurde das erst diskutiert. Monate zogen sich hin. "Ein kleiner Effekt" sei nur zu erwarten. Ja, das mag sein, aber auch ein kleiner Effekt ohne viel Mühe, der durch alle Niederländer über 12 Jahren erreicht werden kann, hat wahrscheinlich doch einen Effekt. Um es abzurunden hat der Justizminister Grapperhaus noch eine Ode auf das Ende der Maskenpflicht gesungen.

Viele Maßnahmen wurden undeutlich und unvorbereitet eingeführt. Ein aktuelles Beispiel dafür sind die kostenlosen Testbeweise für Reisende. Nur wenige Teststraßen sind bis jetzt angeschlossen und die Testanbieter, die jetzt schon mitmachen, haben Schwierigkeiten, um die Testbeweise rechtzeitig zu versenden.

In der Pressekonferenz gingen die Rutte und De Jonge auch auf die in dieser Woche geäußerte Kritik ein, das Kabinett habe die Regeln im Juni zu schnell und drastisch gelockert. Rutte und De Jonge behaupten, dass mit dem damaligen Wissen, den Empfehlungen der OMT und des RIVM und den niedrigen Infektionszahlen zu dieser Zeit die Entscheidungen verantwortungsvoll waren. "Es waren logische Entscheidungen in dieser Situation", sagte De Jonge. "Aber was man sieht, ist, dass die Zahl der Infektionen viel schneller gestiegen ist, als man damals mit den Modellen geschätzt hat." Auf die Frage, ob keine Fehler gemacht wurden, sagte er, dass dies durch Auswertungen bewiesen werden muss. Hinterher ist man zwar immer schlauer, aber, dass ein nicht gut durchdachtes System von QR-Codes und Zugangssystemen eingesetzt wurde, liegt auf der Hand.

Immer wieder etwas Neues: Es wurden Baukastensysteme vorgestellt, die nie richtig umgesetzt wurden. Es wurden Pläne gemacht, die schon ein wenige Tagen wieder hinfällig waren und anders mussten. Und auch heute teilt De Jonge mit, dass die Zeit zwischen der ersten und zweiten Impfung in den kommenden Wochen kürzer und flexibler sein wird.

Fehler eingestehen, ist für das niederländische Kabinett bekanntlich nicht möglich. Wer die Debatten in der Tweede Kamer verfolgt, kann dies regelmäßig feststellen. Das war auch gestern in der Fragerunde der Presse deutlich geworden. Direkten Fragen wurde ausgewichen. Es wurde eigentlich nur auf die RIVM Datenmodelle verwiesen. Im Gegensatz dazu: Rutte und Co. wissen, dass die Delta Variante 90% infektiöser ist als die ursprüngliche Variante. Dies macht deutlich, dass das Kabinett einfach nicht weiter weiß. Rutte sagt "Wir sagen von Anfang an, dass wir Fehler machen werden." Die Situation sei komplex und man habe sich an die Ratschläge gehalten.

Ja, niemand kann in die Zukunft sehen. Aber das immer wieder so fröhliche Lied "Das Licht am Ende des Tunnels" sorgt nach anderthalb Jahr nicht für viel Vertrauen. Und die Idee, um die niederländischen Bürger nur zu bitten, etwas zu tun, das ist fern weg von jeder Realität.

In einer Sache hat De Jonge aber recht: Wer nicht geimpft wird, bekommt Corona. Das ist deutlich. Es ist aber zynisch, um zu sagen, dass es dann gut ist, dass jungen Menschen sich jetzt infiziert haben.

Ab in den Sommerurlaub

Die meisten Niederländer werden wohl, ähnlich wie 2020, im eigenen Land Urlaub machen. Nicht, weil die Regierung dazu aufruft, sondern einfach aus der Sorge heraus. Dieses Verhalten hat zwar die Preise um 10-20% hochgetrieben, bietet aber auch Sicherheit. Es ist nämlich nicht auszuschließen, dass während des Urlaubs neue Maßnahmen notwendig werden und so den Urlaub verpesten.

Und die Urlauber, die es dennoch in Ferne zieht, die müssen sich regelmäßig gut informieren. Laut der niederländischen Regierung ist es dabei wichtig, dass die Reisehinweise vollständig gelesen werden. Ich möchte hinzufügen, dass Reisende die Hinweise auf der Webseite des Ziellandes lesen sollten, denn auch die niederländischen Reisehinweise auf Nederlandwereldwijd.nl und auch die Online-Tools der Behörden hinken manchmal der aktuellen Situation hinterher...

Niemand wird Ihnen mit Sicherheit sagen können, wo wir in einem Monat stehen werden. Auch gelten die aktuellen Maßnahmen in den Niederlanden bis zum 13. August, kann sich doch vieles ändern. Auch haben die niederländischen Politiker Sommerpause, Corona macht keinen Urlaub und das Licht am Ende des Tunnels, tja, das ist nur sehr klein. Hoffentlich wird der ‘summer of love’ kein ‘summer of disappointment’.

Ach, was waren die letzten zwei Wochen schön. Fußball gucken mit anderen Fans, saufen in der Kneipe, tanzen in der Kellerdisco und endlich mal wieder richtig daten. Ich wünsche einen tollen Sommer und grüße vom roten Nordseestrand.

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